Irgendwas mit Kreativität

Auf Instagram, TikTok und Co gibt es tausendfache Tipps für kreative Ideen und deren Umsetzung. Diese Ratschläge reichen vom glorifizierten Malen-nach-Zahlen, über coole Photoshop-Filter zum Herunterladen bis hin zu Anleitungen zum Microdosing von allerlei Drogen, die das Potenzial des Konsumenten erweitern.



Vielen künstlerisch tätigen Menschen, denen Kreativität unterstellt wird, hängt jedoch — auf gut Deutsch gesagt — dieses Wort der Kreativität aus dem Halse raus. Vor allem der inflationäre Gebrauch des Wortes wertet diese ab und führt in eine Beliebigkeit.



Meine folgende Behauptung ist, dass es so etwas wie Kreativität nicht gibt und das der Begriff selbst den Künstlern schadet.



Das Wort Kreativität leitet sich aus dem Lateinischen creāre ab, das erschaffen oder erzeugen bedeutet und soll das Hervorbringen eines Neuen bezeichnen. Als Neu gilt für mich im engeren Sinne nur das, was sich in allen Wesensmerkmalen vom Vorangegangenen unterscheidet. Wenn dem nicht so ist, liegt es näher, von einer Änderung oder einer Transformation zu sprechen, da es um eine Abwandlung von etwas schon Bekanntem handelt. Die These ist nun, dass es in unserer Welt prinzipiell nichts Neues, sondern nur Anderes gibt. Die Neuschöpfung ist dem noch so kreativen Menschen eine strukturelle Unmöglichkeit, was einem jeden künstlerisch tätigen Menschen als ein unausgesprochenes Gesetz bekannt sein sollte.

Von diesem Tatbestand der Unmöglichkeit zeugen auch die verschiedensten Begriffe. So sprechen wir in den naturwissenschaftlich–technischen Disziplinen von Entdeckung, Entwicklung oder Erfindung. Diese Worte verweisen auf etwas bereits Vorhandenes, das erkannt oder erstmals begriffen und benannt wurde. Deutlich wird der Widerspruch, wenn man versucht, davon zu sprechen, dass Newton die Gravitation erschaffen hat. Außer diesem „Erschaffen“ gibt es kein Wort im Deutschen, das die Neubildung einer Sache aus dem Nichts beschreibt. Selbst die Schöpfung verweist auf etwas Vorhandenes, Größeres  —  ein Quell, aus dem geschöpft werden kann.



Jeglicher technischer Gegenstand ist auf ein fundamentales, natürliches Phänomen zurückzuführen, das außerhalb unseren Wollens in der äußeren Welt fußt und bereits besteht. So können wir ein Gerät wie das Auto als ein ein Ding beschreiben, das von Feuer betrieben und auf Rollen gelagert ist und eine Abwandlung einer Kutsche ist. Selbst die Reifen sind kein Menschengemachtes. Das Rad selbst — welches nicht neu erfunden werden kann — ist eine optimierte Variante eines rollenden Kiesels oder eines Baumstammes. Von dem oben genannten rollenden Baumstamm zum modernen Formel-1-Reifen ist es sicherlich ein weiter Weg, doch ist es ein transformatorischer und kein kreativer.

Doch wie sieht es in den ach-so-kreativen Künsten aus? Ist es nicht grade die Aufgabe und Leistung der Künstler, stetig etwas noch nie Dagewesenes zu produzieren?



Meine Antwort lautet: Nein.

Auch alle Errungenschaften der Künste sind so wie die der Wissenschaft und Technik als Erfindungen und Erkenntnisse zu kategorisieren.



Die Person, die sich auf nichts bezieht und aus einem falsch verstandenen Freiheitsbegriff irgendetwas produziert was in keinen Kontext einzubeziehen ist, schafft Nichts. Die abstrakte bildnerische Kunst, die bis heute noch bei einigen als avantgardistisch gehandelt wird, ist ohne die vorangehende, figurative Malerei: Nichts. Ein schwarzes Quadrat von Malevich ist nicht wichtig wegen des gezeigten Schwarzes, sondern des nicht Gezeigten, gegen das sich aufgelehnt wird. Das Schwarz zeigt nicht sich selbst, sondern verweist auf die Ikonen, die ihren Platz auf der Leinwand verloren haben und ist nur im Kontext und in Folge dieser zu verstehen.



Die Kreativität wird oftmals in der Freiheit, wie etwa im Begriff der Freien Kunst, verankert. Doch ist auch Freiheit ein falsch verstandener Begriff, wenn sie mit Willkürlichkeit verwechselt wird. In den Künsten gibt es keine solche Willkür.



Doch was heißt dann die im Grundgesetz §5,3 verordnete Freiheit der Kunst und Wissenschaft?

Die m.E. einzige zulässige Leseart ist, dass diese Disziplinen frei von den Bindungen der Kultur sind, jedoch nicht von der inneren Logik, Systematik und vor allem Tradition der eigenen Disziplin. Der Künstler bleibt stets an die werk-immanente Richtigkeit des behandelten Gegenstandes und die Historie der jeweiligen Disziplin gebunden. Ohne einen Zusammenhang zu dem Vorangegangenen ist das Herumkünstlern ein wirres Selbstgespräch ohne Wert für die Mitmenschen. Erst durch die An- oder Ablehnung des Bestehenden kann eine weitere Position entwickelt werden, die dann auch eine Relevanz für den fachlichen Diskurs hat. Alles andere ist Unfug, der nicht sinnvoll eingebunden und verstanden werden kann.



Das noch so als frei oder willkürlich erscheinende Bild, auf dem auf den ersten Blick nichts zu erkennen ist, hat immer ein behandeltes Thema, welches die Gestalt des Werkes bestimmt. Wenn das Thema des Bildes etwas Ideelles wie als plumpes Beispiel die Liebe ist, wird das Bild dann rot und es gibt keine Freiheit, das Bild grün zu malen.

Problematisch wirkt sich das oben beschriebene Verständnis von Kreativität nicht nur in einer getrübten Betrachtung und Rezeption von Kunst von Laien aus, sondern auch in der Erwartungshaltung und Arbeitsweise von heranwachsenden Künstlern. Unausweichlich treffen die Ambitionen und Hoffnungen von Studenten einer jeweiligen Kunst auf eine Wand der bestehenden Tradition, an welcher Phrasen der Kreativität abprallen und verenden.



Diese Wände sind jedoch nicht als konservative Dogmen zu verstehen, die dieses oder jenes verbieten, sondern als Überreste der vorhergehenden Künstler, die scheinbar bereits alles umgesetzt haben oder strukturell gescheitert sind und eine prinzipielle Unmöglichkeit dargelegt haben. Viele der Ideen, mit denen der angehende Künstler die Welt verbessern will, findet er oftmals schon in den letzten Jahrhunderten. Nach weiterer Recherche sieht er dann diese Ideen historisch scheitern, oder auch im Wandel der Zeit, welcher unbedachte und ungewollte Folgen darlegt.



Während einige angehende Künstler von den überraschenden Limitationen des jeweiligen Gebiets enttäuscht sind, verzweifeln andere daran, dass sie diese nicht erkennen und trotz großer Bemühungen die erstrebte Neuschöpfung der Welt vollbracht kriegen.


Während also der Mythos „Kreativität“  umherschwirrt und die Jugend verführt, gerät  die eigentliche Praxis der Kunst in Vergessenheit. Um diesen Missstand aufzulösen, kann man somit nur noch hoffen, dass sich ein paar kreative Köpfe zusammenfinden und unter Microdosing ein neues Wort erschaffen, was die Tätigkeit eines Künstlers treffender beschreibt und uns das Ergebnis in einem Instagram Reel kundtut.

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