Kunst und Wissenschaft – Streben nach Wahrheit und das Finden von Lügen

In einem vergangenen Beitrag habe ich meine Sicht auf das Verhältnis zwischen der Kunst und der Kultur dargelegt. http://bitly.ws/KgAe

Während ich Kunst und Kultur, entgegen der breiten Meinung, als Rivalen dargelegt habe, werden wir in diesem Beitrag die Beziehung der Kunst zu Wissenschaft betrachten und diese als Gleichgesinnte erkennen.

Eine kleine Anekdote aus meiner Schulzeit, an die ich mich noch oft erinnere, war eine Frage eines Mitschülers an unseren Lehrer des Kunst-LKs. Der Lehrer, der neben der Kunst als zweites Fach Physik lehrte, wurde nach dieser komischen Kombination gefragt, da sie für den fragenden Schüler unvereinbar war. Die Antwort meines Lehrers, die nach einem kurzen Innehalten erfolgte, war: „Ist doch beides dasselbe. Beide Felder sind auf der Suche nach der Wahrheit.“ In Folge verstummte der Lehrer erneut, ging zur Tafel und zeichnete eine Kerze mit heraustretender Strahlung in Form von Wellen. Durch die Zeichnung sich selbst vergewissert, murmelte der Lehrer: „Ja, doch. Ist Kunst, ist dasselbe.“ Während einige der Schüler über die Kauzigkeit des Lehrers schmunzelten, war ich auch damals schon beeindruckt, ohne seine Antwort wirklich verstanden zu haben.

Insbesondere seit der Moderne weisen beide Felder einen besonderen Bezug zur Wahrheit auf. Im Unterschied zu politisch-ideologischen oder auch religiös motivierten Positionen der Kultur, die einen absoluten Anspruch auf Wahrhaftigkeit erheben, distanzierten sich Wissenschaftler und Künstler von diesem Anspruch, der im besten Falle Augenwischerei, meist jedoch Propaganda war und falls erhoben, immer noch ist.

Die beiden Felder, in denen Individuen als Urheber und Autor(ität)en auftreten, erkannten, dass der einzige sinnvolle Zugang zur Wahrheit in der Lüge zu finden war. So ist als eine der Hauptmethodiken der Wissenschaften das Falsifikationsprinzip zu nennen, welches durch Benennen und Bestätigen von Unwahrheiten die Form der Wahrheit zentripetal umfährt und so ex negativo sichtbar macht. Markant wird dieses Verhältnis bei einer Vereinigung beider Disziplinen innerhalb einer Person. So bewundern wir noch heute die alten „Universalgenies“ wie Goethe oder Da Vinci, die sowohl in den Wissenschaften (damals Naturphilosophien) als auch den Künsten entscheidende Fortschritte gemacht haben. Obwohl durch eine fortschreitende Spezialisierung der Forschungsfelder der oben genannte Typus inzwischen schwierig zu realisieren ist, finden wir heute eine Vermengung von Methodiken wieder. So ist in der Wissenschaft zunehmend das Bild als Mittel des Erkenntnisgewinns anzutreffen – Angefangen von Röntgenbildern, die eine Interpretation durch die jeweiligen Experten erfordern, bis hin zu Grafiken, die ohne die durch Künstler vorangetriebene Bildsprache und Ikonografien weder lesbar noch denkbar wären.

Ein prägnanter Unterschied der Rezeption beider Felder in der breiten Öffentlichkeit ist die intersubjektive Intelligibilität, welche bei der Wissenschaft als vorhanden und bei der Kunst als abwesend erachtet wird. Ohne ein eigenes Verständnis der Materie ausgebildet zu haben, werden Theorien der Wissenschaften hingenommen, während über einen genauso unbekanntes Kunstwerk eine abwertende Haltung eingenommen wird. Als Beispiel erwähne ich die Quantentheorie, in der absurde Konzepte wie Unschärfe und Zufälligkeit hingenommen werden, während Werke eines Picassos, der in der gleichen Zeit gewirkt hat, als Kinderkritzeleien abgetan wird, die der jeweilige Laienkritiker auch hätte selbst malen können. Und, na ja: „ΔxΔp≥h/2π“ kann ich auch schreiben.

Die beschriebene Diskrepanz ist meiner Meinung nach in dem Missverständnis begründet, dass die Kunst subjektiv und die Wissenschaft objektiv sei. Angefangen bei der Themenwahl, die immer in einem persönlichen oder finanziellen Interesse begründet wird, bis hin zu bewussten Manipulationen mit politischen oder ökonomischen Hintergründen, sehen wir eine Unterwanderung der Wissenschaften durch Subjektivität in vielen Bereichen. In gleicher Manier gibt es in den Künsten die Hochstapler, die sich das Unwissen des Publikums (und auch vieler Kuratoren) zunutze machen und sich in einer ästhetischen oder besser kallistischen Beliebigkeit verschanzen, um ihren Gewinn zu maximieren. So wenig wie jedes Balkendiagramm Wissenschaft ist, genauso wenig ist jedes Bild Kunst.

Der Unterschied, der oft als Dichotomie zwischen Objektivität und Subjektivität verstanden wird, ist m.E. der Spielraum in der Deutungsfreiheit. Während die Wissenschaft bemüht ist, durch finite Antworten präzise Beschreibungen der Welt zu formulieren, werden in der Kunst unscharfe, fluktuierende Antworten möglich, welche vorgefundene Situationen teilweise besser beschreiben / veranschaulichen können. Hierbei ermöglicht die wissenschaftlich-reduktionistische Methode im Vergleich zu der künstlerischen Methode, die sowohl das Denken des Autors als Denk-werk-zeug ermöglicht und das des Betrachters fordert, einen hohen Grad an Handlungsfähigkeit.

Schreibe einen Kommentar