Kunst oder Kultur – Statt eines Grußwortes

Ob im Feuilleton, in Reiseführern, bei Behörden, Veranstaltungen oder in Lebenseinstellungen: Kunst und Kultur sind immer zusammen unterwegs.

Und auf den ersten Blick scheinen die beiden auch eine nette und fruchtbare Beziehung zu führen; halten zusammen, bilden eine Einheit. Sie treten in der Öffentlichkeit gemeinsam auf, haben die gleichen Werte und Überzeugungen und teilen sich sogar denselben Fiskus. Sie hängen auf den gleichen Vernissagen und Midissagen und Finnisagen — mit den gleichen Visagen — ab.

Für die meisten sind Kunst und Kultur womöglich sogar dasselbe. Zwei Synonyme, die als knackige Alliteration gut über die Lippe geht. Ein Wortpaar, das zusammen gegen die technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekte der Welt antritt und die Humanitas gegen die kalte Welt der Rationalität tapfer verteidigt.

Für andere ist die Kunst eine Unterkategorie der größeren Kultur. In dieser Sichtweise hat die Kunst ihren Platz neben traditionellen Bräuchen, ortsspezifischen Dialekten und Küchen oder den Glaubensangelegenheiten wie Wirtschaft oder Religion.

Was viele sowieso — und die beiden selbst anscheinend auch — vergessen, oder treffender, verdrängt haben, ist die Vergangenheit als Rivalen und Feinde.

Obwohl in diesem Rahmen das Verhältnis zwischen der Kunst und der Kultur natürlich nicht ausreichend behandelt werden kann, werde ich im Folgenden ein paar Phrasen dreschen, die genau dies versuchen.

Kultur ist ein Ordnungs- und Legitimationssystem, welches sich auf eine Obrigkeit bzw. eine Gruppenzugehörigkeit beruft, die außerhalb einem selbst liegt. Obrigkeit ist hierbei im weitesten Sinne zu verstehen. So kann eine Kultur theistisch begründet sein, indem alles aus einer oder mehreren Göttlichkeit/en entspringt oder einer Einzelperson wie einem Diktator, wo wir dann beim Personenkult wären. Am verbreitesten und am meisten anerkannt ist heute die Variante über die Durchsetzung von Kultur durch eine ganze Bevölkerung.

In den meisten westlich geprägten Ländern finden wir heute keine Monokulturen mehr vor, sondern eine Vielzahl von parallel zueinander existierenden Subkulturen. Während einige Subkulturen friedlich, manchmal sogar symbiontisch zusammen leben können, ist dies jedoch nicht immer friedlicher Natur. Prägnant zu beobachten ist so ein Missstand z.B. im „Melting Pot USA“. So sind in dem großen Schmelztiegel die Grenzflächen der verschiedenen Phasen des Gemisches noch gut zu erkennen. Im sogenannten „Culture War“ wird um die Stellung als Leitkultur und die Vorherrschaft über die Gesinnung der Bevölkerung gekämpft. (Wie Schlachtfelder nach einem Krieg aussehen, sei mal dahingestellt …)

Während wir die Feinheiten des oben genannten Irrsinns einem anderen Mal überlassen, soll an dieser Stelle jedoch vermerkt sein, dass die Akteure der Kultur sich immer über die Zugehörigkeit zu dieser legitimieren. Ob dies im Namen Gottes, des Vaterlandes, der Ahnen, der Behörde X, dem Unternehmen Y oder der Person Z ist, ist irrelevant.

Anders in der Kunst:

Der Künstler, wie es ihn seit der Renaissance gibt, steht für sich selbst. Er agiert und proklamiert ohne den Rückhalt vom Papst, einem König oder einer Armee. Herausgetreten aus der ihn umgebenden Kultur, steht er als abtrünniges Subjekt amn ihrem Rande. Aus dieser Stellung ist es ihm möglich zu beobachten und zu beurteilen, ohne in den Dogmen der vorherrschenden Kultur zu stehen. Seine Beobachtungen und Kritiken zu dem Gesehenen formiert der Künstler dann in Theorien und äußert sie, je nach Vermögen, als Bild, Plastik, Musik oder Wort und Schrift. Diese Thesen stehen dann als solche im kulturellen Raum und werden wiederum beurteilt. Nicht selten führten die Produkte des künstlerischen Schaffens die Verfasser, je nach Epoche, aufs Schafott, ins Gefängnis oder den Index.

Diese Strafen, die ich im Einzelfall nicht gegen-anprangern will, sind als Selbstschutzmechanismen der Kultur zu verstehen. Die Hauptaufgabe der Kultur, welche, wie oben dargelegt, formierende und ordnende Kraft hat, ist Stabilität und Kontinuität. Sie verfolgt die Realisierung eines unveränderlichen Rahmens, in der das menschliche Dasein sicher verlaufen kann, wobei dieser auch als kontinuierliches Wachstum und ewiger Fortschritt gedacht werden kann.

Die größte Gefahr für ein solches System sind — neben anderen konkurrierenden Kulturen — die Deserteure aus den eigenen Reihen, die es auch noch wagen, Kritik zu äußern. In der historischen Retrospektive werden diese Einzelpersonen jedoch oft als Märtyrer verehrt und werden post mortem (ironischerweise) zu Leitfiguren einer neuen Kultur. Prominente Beispiele für solche Künstler sind die des Salon des Refusés, welche die Moderne begründeten, oder die Künstler, die unter dem NS-Regime als „entartet“ kategorisiert wurden.

Ein weiterer Aspekt, der in diesem Artikel nur angeschnitten werden soll, ist die Stellung der Wissenschaft neben der Kunst und der Kultur. Obwohl die Wissenschaften durch ihre Institutionalisierung und Finanzierung noch stärker als die Künste in den Kulturleib eingebunden sind, sind sie auf methodologischer Ebene mit den Künsten verwand.

Der ideelle Wissenschaftler ist im positiven Sinne kulturlos. Er formuliert interesselos Thesen und prüft diese, ohne ein Ergebnis mehr zu wollen als ein anderes. Als Autor von Thesen und Theorien bezieht er sich nicht auf kulturelle Normen, sondern nur auf andere Autoren, die dann in den Quellenangaben gefunden werden können. Die Arbeit des Forschenden ist nur in Hinblick auf das behandelte Objekt zu beurteilen, ohne Bezug auf ihn selbst nehmen zu müssen. Sprachlich unscharf wird oft die Subjektivität als Tabu in der wissenschaftlichen Praxis betitelt. Genauer müsste hier die kulturelle Vorprägung thematisiert werden, welche den reinen Blick trüben könnte.

Nachdem nun einige Themen angeschnitten wurden, die Stoff für weitere Betrachtung bieten, bedanke ich mich für das Lesen bis hierhin.

In diesem Sinne: Im Namen der

Kultur
I
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Kunst           und            Wiss.
I
I
I
I

 

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